Die fünf Ansammlungen (Sanskrit: Skandhas) beschreiben die ganze Vielfalt der Aspekte, die eine Person ausmachen. Das Erkennen dieser einzelnen Facetten arbeitet der starken inneren Gewohnheit entgegen, die Person auf ein immer gleich bleibendes Ich einzuschränken. Tatsächlich befinden wir uns in einem fortwährenden Prozess der Veränderung, des Entstehens und Vergehens. Dies zu erkennen ist ein wichtiger Teil der buddhistischen Praxis.
Warum es wichtig ist, uns zunächst mit dem Körper zu beschäftigen
Wir lernen die Signale unseres Körpers wahrzunehmen, unseren Körper in allen seinen Facetten anzunehmen und liebevoll mit ihm umzugehen. Dies ist eine Übung der Achtsamkeit auf der körperlichen Ebene und darüber hinaus ein Ausdruck der Dankbarkeit und der Einsicht, dass dieser Körper nicht uns allein gehört. Er kann nur entstehen, wenn vielfältige Bedingungen erfüllt sind.
Betrachten wir die genetischen Bedingungen, so haben unsere Vorfahren schon vor Generationen den Grundstein dafür gelegt, dass wir heute existieren können. Auf der geistigen Ebene sind es Werte, Ethik und Erfahrungen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Unsere heutige Zivilisation gäbe es mit Sicherheit nicht ohne unsere Vorfahren. Auf der Ebene der Natur sind Faktoren wie Sonne, Klima, Erde, Pflanzen und Tiere die Bedingungen unseres Daseins. Je mehr wir unseren Körper betrachten, umso mehr verstehen wir, dass wir in einem in sich abhängigen Geflecht leben und nicht individuell isoliert existieren können. Wir brauchen uns gegenseitig, um zu überleben.
Kontakt mit dem Körper aufnehmen - Blockaden erkennen und lösen
Am Anfang beschäftigen wir uns damit, die Verspannungen zu lösen. Das ist zwar nicht das eigentliche Ziel, jedoch geben uns Entspannung und Gelassenheit die Möglichkeit, tiefer in den Körper einzudringen, um zu erkennen, wo sich Blockaden aufgebaut haben. Wenn wir auf der körperlichen Ebene verweilen und Kontakt mit unserem Körper aufnehmen, können wir beobachten, wie bestimmte Körperteile sich immer wieder zusammenziehen. Je mehr wir uns das anschauen, umso mehr verstehen wir die Situationen, in denen wir diese Reaktionen auslösen. Schließlich lernen wir, Reaktion und Situation sofort wahrzunehmen und zu verändern.
Die Beziehung von Körper und Geist - unterdrückte Gefühle befreien
Die Bedeutung des Körpers wird gerne unterschätzt, wenn es um geistige Entwicklung geht. Aber die Wichtigkeit wird schnell klar, wenn wir uns anschauen, wie sehr wir von unserem Körper abhängig
sind, um uns wohl zu fühlen.
In unserer Gesellschaft sind wir darauf trainiert, unser rationales Denken im Alltag einzusetzen und Sachverhalte zu analysieren, um ein Verständnis und ein Bild von uns und der Welt zu
bekommen. Es geht um Fakten, um Kategorisieren und intellektuelles Verstehen. So wird unsere analytische Denkweise schon von der ersten Klasse an trainiert. Es gilt dagegen als nicht zivilisiert,
wenn man in der Öffentlichkeit seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Körperliche Empfindungen, die durch Emotionen ausgelöst werden, sollen unterdrückt oder ausgeblendet werden. Deshalb gibt auch
die Erziehung wenig Raum, um Gefühle auf körperlicher Ebene zuzulassen.
Da wir Verstand und Gefühl immer trennen mussten, stellt unser Körper auf seine Art und Weise die Verbindung wieder her. So entstehen die bei uns weit verbreiteten psychosomatischen
Beschwerden, deren wirkliche Ursachen nicht gefunden werden können, wie z.B. Migräne, Verspannungen (insbesondere im Lendenbereich), Asthma und Nervosität bis hin zu Depressionen. Körper und
Geist sind eins und unterdrückte Gefühle lassen unseren Körper rebellieren. Er versucht, sich bemerkbar zu machen und uns zu zeigen, dass er existiert.
Körperliche Folgen der Unterdrückung von Gefühlen
Ignoriert man die Signale des Körpers, indem man z. B. mit Medikamenten die Warnzeichen unterdrückt, werden die Signale verstärkt. Dies ist ein Naturgesetz: Im Körper fließen Ströme und Energien,
sobald diese blockiert sind, sammeln sie sich wie das Wasser in einem Stausee an. Ist nun der Wille nicht stark genug, diese Energien zu unterdrücken, bricht der Damm.
Aggressionen, Wutanfälle und Black-outs bilden die Vorstufe eines solchen „Dammbruchs.“ Werden die Anzeichen überhört, so gräbt sich das Gefühl und die damit verbundene Energie in die Organe
unseres Körpers. Gleichgültig um welche Organmatrix es sich handelt, eine übermäßige Ansammlung von Energien führt zu starken Schwingungen, die unsere Zellen schneller verfallen lassen. In der
Folge wird das Immunsystem geschwächt, die Organe können ihren Funktionen nicht mehr ausreichend nachgehen und Krankheiten entstehen.
Ein gesunder Körper als Fahrzeug für die geistige Entwicklung
Es ist wichtig den Körper im Alltag wahrzunehmen, um ihn mit vollem Respekt anzunehmen und gut mit ihm umzugehen, denn ein gesunder Körper liefert uns die beste Möglichkeit für unsere
Praxis. Wenn wir mit Hilfe der Meditation uns in unserem Körper wohl fühlen können und gesund sind, dann ermöglichen wir damit auch die Entwicklung eines gesunden Geistes. Solange wir aber nicht
gesund sind, beschäftigen wir uns zu sehr mit unserer Krankheit und dem Gesundungsprozess und vergessen dabei die geistige Ebene.
Die ersten Hindernisse für die Praxis sind aus dem Weg geräumt, wenn wir wirklich lernen, unseren Körper zu lieben, zu akzeptieren und zu pflegen. Er ist das Fahrzeug auf unserem Weg. Wir
sollten behutsam mit ihm umgehen, da wir ihn für eine lange Zeit brauchen.
Wie Gefühle entstehen
Die Gefühle gehören nach buddhistischer Philosophie zu der zweiten Daseinsgruppe der fünf Skandha. In Pali werden sie Vedana genannt. Gefühle entstehen durch eine Interaktion (Reaktion) zwischen Körper und Geist. Im Prinzip entstehen „Gefühle“ aufgrund von Vorstellungen: einmal durch das, was wir aufgrund unserer Anhaftungen als lebensförderlich oder dem Leben abträglich einstufen und zum anderen durch die Anhaftung an das Selbst. Wenn wir dann mit der Realität konfrontiert werden, entsteht als Reaktion ein Gefühl. Stimmen unsere Vorstellungen mit der Realität überein, verspüren wir ein Gefühl der Zufriedenheit, der Befriedigung und des Glücks. Gehen Vorstellung und Realität aber auseinander, entsteht eine Diskrepanz, welche auf körperlicher Ebene eine Anspannung erzeugt. Da Freude und Zufriedenheit von unserem Organismus nicht als Gefahr eingestuft werden, wird der Impuls der Freude schnell „verpuffen“, da er keinen Widerstand hervorruft. Wenn aber aufgrund einer subjektiv erlebten Diskrepanz eine Anspannung im Körper spürbar wird, signalisiert uns dies „Gefahr“. Der Körper mobilisiert Schutzmechanismen. Es kommt nun darauf an, wie stark die Impulse von außen sind und auf welche Weise wir darauf reagieren. Je mehr wir uns mit unseren Vorstellungen und Wünschen identifizieren und je extremer diese von der Realität abweichen, umso ausgeprägter wird unser Organismus eine vermeintliche Bedrohung wahrnehmen. Die Körperreaktion wird entsprechend intensiv ausfallen – gleiches gilt für die daraufhin folgenden Gefühle.
Ein Beispiel: wir lieben jemanden und haben bestimmte Vorstellungen über die Liebe und die Ausgestaltung einer Beziehung mit diesem Menschen. Wie es in der Realität nun mal ist, unterliegt alles der ständigen Veränderung – auch in Liebesbeziehungen. Aber wir halten uns an dieser einen Vorstellung von Liebe fest. Veränderungen innerhalb der Beziehung stufen wir schnell als Gefahr ein, weil wir Angst haben, die Kontrolle zu verlieren. Wir werden misstrauisch und kontrollierend unserem Partner gegenüber. Wenn irgendetwas darauf hinweist, dass die ersehnte Liebe nicht erfüllt werden kann, betrachtet unser Ego das als große Gefahr. Die Muskulatur des ganzen Körpers zieht sich zusammen, es kommt zu Verspannungen im Bereich des Brustkorbs, das Herz schlägt schneller. Der Magen verkrampft sich und wir haben keinen Appetit mehr. Die körperliche Reaktion und das von uns darüber gelegte Gefühl nennen wir dann Trauer.
Auf der Stoffwechselebene sind wir jetzt bereit für einen Kampf um Leben und Tod – der Sympathikus (àTeil des vegetativen Nervensystems, der die Bereitschaft zu Kampf und Flucht ermöglicht) läuft auf Hochtouren. Vom Kopf her können wir uns einreden, die Beziehung sei erledigt, das Leben geht weiter – auch ohne idealen Partner. Aber wir brauchen uns nichts vorzumachen. Die Anhaftung an die Idee, was Glück und Beziehung für uns bedeuten und die damit verbundenen Hoffnungen und Sehnsüchte, haben sich auf der Verstandesebene noch nicht gelöst. Wir haben die Bedingungen, die zu dieser Situation geführt haben, noch nicht verstanden. Im Unterbewusstsein wittern wir daher immer noch Gefahr. Deshalb tragen wir tage- und wochenlang diese sogenannte Traurigkeit in uns. Durch unsere körperliche Reaktion wird sie noch verstärkt und unterhalten.
Es geht nun darum, die Verspannungen und anderen Körperreaktionen, die diesen zugrunde liegenden Projektionen (wieder) zu erkennen und aufzudecken. Wir sollten durchschauen, wie wir über eine Körperreaktion, „Gefühle“ und Emotionen drüber legen.
Im Buddhismus unterscheiden wir drei unterschiedliche Körperreaktionen: angenehme, unangenehme und neutrale. Auf diese projizieren wir die ganze Vielfalt möglicher Gefühle und verstricken uns darin.
Mit Hilfe verschiedener Techniken können wir tief in unseren Körper hineinhorchen. Wir können die Erinnerungen, die wir während unserer Kindheit bei subjektiv erlebter Gefahr in den Körperzellen abgespeichert haben, wieder in das Bewusstsein holen. Als Kind können wir oft nicht unterscheiden, was gefährlich ist und was eher unserem Lebenserhalt dient. Wir missdeuten Sanktionen und Kritik sehr oft als Lebensgefahr, Ablehnung oder Zurückweisung. So kann man an die frühestmögliche Andockstelle gelangen, dorthin wo die Grundsteine für die heutigen Gewohnheitsstrukturen und –muster in Bezug auf unsere Gefühle und Körperreaktionen gelegt wurden. Zunächst geht es aber nur darum, die Gefühle/Körperreaktionen zu erkennen, die wir ständig in uns tragen.
Wenn wir uns unserer Gefühle und dessen Dynamiken bewusst werden, können unsere zwischenmenschlichen Beziehungen spürbar entlastet werden. Wir durchschauen unsere „Spiele“ und die Spiele der Anderen und können sie nach und nach getrost los lassen. Je entspannter sich die Beziehungsstrukturen in unserer unmittelbaren Umgebung gestalten, umso mehr Kraft und Energie haben wir letztendlich für unsere eigene, innere Weiterentwicklung und Befreiung zur Verfügung.
Auf dem Weg der Selbstfindung entdecken wir mehr und mehr, dass das Selbstbild, welches wir in uns tragen – die verinnerlichten Vorstellungen darüber wer oder was wir vermeintlich sind – wesentlich von den Menschen um uns herum und deren Erwartungen sowie unseren Gewohnheitsstrukturen geprägt wird.
Unser Kopf ist voll von Konzepten. Ideen und Vorstellungen wie „eine gute Mutter muss so und nicht so sein“ sind typische Konzepte, die wir von Instanzen außerhalb unseres Selbst (z.B. von den Eltern oder der Gesellschaft) übernommen haben. Oft weichen diese von unseren eigenen Überzeugungen und Bedürfnissen ab oder widersprechen diesen sogar, was wir zur Vermeidung von (inneren wie äußeren) Konflikten gerne verdrängen.
Im Rahmen des Prozesses müssen wir unsere Täuschungen ent-täuschen …
Wenn wir als Baby auf die Welt kommen, sind wir hilflos und auf andere angewiesen. Kurz bevor wir diese Welt verlassen, also sterben, sind wir in der Regel wieder in einem ähnlichen Zustand der
Hilflosigkeit.
Zwischen Geburt und Tod versuchen wir dem, was wir tun, einen Sinn zu geben. Wir streben danach, unser Leben angenehm zu machen und aufzuwerten. Dabei unterliegen wir oft einer Selbsttäuschung:
Wir übersehen das für uns wirklich Wichtige. Erst auf dem Sterbebett spüren wir unsere wahren Bedürfnisse. Wir tragen die Sehnsucht nach deren Erfüllung mit in das nächste Leben und binden uns
dadurch an den Wiedergeburtskreislauf.
Erst wenn wir äußerlich zur Ruhe kommen, uns beispielsweise zur Meditation setzen, werden wir unseres ständigen, inneren Dialogs bewusst. Unsere zahlreichen inneren Stimmen sind darin geschult,
alles zu kommentieren, meist in Form von Negativbotschaften wie „das hast Du aber nicht gut gemacht“. Es existiert so viel „nicht“ in uns – wir verneinen damit unsere Lebendigkeit. Viele dieser
verinnerlichten Instanzen stammen nicht von uns selbst. Es sind die Stellvertreter unserer Eltern und anderer Menschen, die in unserem Leben eine wichtige und prägende Rolle gespielt haben.
Irgendwann haben wir sie uns als „zu uns selbst gehörig“ einverleibt (Introjekte). Sie geben uns die Illusion der Sicherheit, indem sie Rahmenbedingungen festlegen, innerhalb derer wir zu denken
und zu handeln haben. Wenn die „anderen“ sagen, ich bin so und so, dann wird es wohl so sein. Wenigstens weiß ich dann, wer oder was ich bin.
Wir können unterscheiden lernen, welche Botschaften von uns selbst stammen und welche wir ursprünglich von anderen übernommen haben. Nur dann können wir zu dem vordringen, der wir wirklich
sind.
Wenn die Täuschungen aufhören, gibt es auch keine Enttäuschung mehr. Aber wie können wir uns von den (Selbst)täuschungen befreien?
Die Vergänglichkeit aller Erscheinungen in der Tiefe verstehen …
Um uns ein Gefühl der Sicherheit sowie die Illusion der Beständigkeit zu erschaffen, halten wir an unserem Selbstbild fest.
Alles, was ist, kommt und geht – das Leben besteht aus ständiger Veränderung. Wenn wir das in der Tiefe verinnerlicht haben, wird uns klar, dass das, was wir in einem gegebenen Moment als „Ich“
wahrnehmen, ebenfalls nur vorübergehender Natur sein kann. Wenn uns das Gewahrsein für den aktuellen Augenblick entgeht, sind wir bereits wieder in unseren Täuschungen verfangen.
Wir können unsere Täuschungsmanöver aufdecken, in dem wir uns unsere Befriedigungsmechanismen und die Widerstände in unserem Leben anschauen.
In unseren Alltag versuchen wir ständig, uns versteckt zu befriedigen – der ethische und soziale Druck ist so groß, dass wir Schleichwege und Ersatzbefriedigungen suchen, um unsere vermeintlichen
Sehnsüchte zu befriedigen. Dabei können wir oft nicht auseinanderhalten, ob wir gerade unsere Sinne befriedigen oder vor etwas flüchten wollten. Wir leben in einer Gesellschaft mit bestimmten
ethischen und moralischen Rahmenbedingungen. Dies macht ein gewisses Maß an Anpassung und damit auch die Unterdrückung bestimmter Bedürfnisse notwendig – so denken wir zumindest.
Die Widerstände selbst sind eigentlich nicht das Problem …
Unsere Widerstände sind vielschichtiger Natur. Fast allen aber liegt eine Hauptursache zugrunde: dass wir uns selbst nicht akzeptieren können, wie wir sind. Sie werden immer dann aktiviert, wenn
unser Selbstbild, das heißt, die subjektiven Vorstellung(en) darüber wer oder was wir sind, in Gefahr ist. Dabei sind die Widerstände selbst nicht das Problem – so lange man bereit ist, sie
anzuschauen. Je mehr unbewusste Widerstände wir in uns tragen, umso mehr Dualität erzeugen wir: Mann und Frau, Ich und Du. Wir erleben uns zunehmend als voneinander getrennte Wesen.
Eigentlich aber sehnen wir uns nach tiefer, inniger Berührung – auf körperlicher und seelischer Ebene. Haben wir diese erfahren, erfüllt uns eine tiefgründige Zufriedenheit. Wird diese Sehnsucht
nicht erfüllt, schauen wir aus dem Fenster nach „Gott“ (im beispielsweise christlichen Kontext) oder nach der „Leerheit“ (im buddhistischen Kontext). Wir hoffen, von Gott oder der Leerheit
berührt zu werden, um uns dann endlich „ganz“ fühlen zu können.
Haben wir diese tiefe Berührung einmal in uns selbst gespürt, ist es uns in der Folge gleichgültig, was die anderen von uns denken. Wir wissen dann, dass wir bereits alles, was wir für unser
Wohlergehen benötigen, in uns tragen. Wir sind frei und unabhängig.
Die Wunschvorstellungen unserer Bezugspersonen zu unseren eigenen machen
Das Selbstbild, welches wir uns oft über Jahrzehnte mühevoll aufgebaut basiert meist nicht auf der Realität, sondern auf Wunschvorstellungen. Es dient in erster Linie dazu, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere die unserer Bezugspersonen.
Wir alle haben eine Bezugsperson, auf die wir unser Bedürfnis nach z.B. Liebe und Geborgenheit fokussieren. Dies kann ein Elternteil sein oder ein Mensch, mit dem wir uns auf einer tiefen Ebene verbunden fühlen. Es ist eine unsichtbare Verknüpfung – unbewusst richten wir unser Leben ständig danach aus, den Erwartungen dieser Bezugsperson gerecht zu werden.
Loslassen der Erwartungen unserer Eltern
Irgendwann entwickeln wir aber unsere eigenen Vorstellungen, wollen uns selbst verwirklichen. Uns wird bewusst, dass die verinnerlichten Konzepte unserer Eltern oft nicht unseren eigenen Bedürfnissen entsprechen. Wir entwickeln Schuldgefühle – wir können uns nicht zugestehen, unser Leben nach unseren eigenen Vorstellungen zu führen, da dies mit denen unserer Eltern kollidiert. Es entsteht ein Ungleichgewicht in uns und wir werden immer unzufriedener mit unserem Leben. Wir können nicht aufhören, die Wunschbilder und Erwartungen unserer Eltern mit uns herum zu tragen.
Wenn wir die Realität wirklich anschauen, haben unsere Eltern auch nicht die Erwartungen ihrer Eltern erfüllen können. Trotzdem neigen auch wir in der Elternrolle dazu, enttäuscht zu sein, wenn unsere eigenen Kinder nicht unseren Wunschvorstellungen entsprechen. Es kann nicht die Aufgabe der Kinder sein, den Erwartungen der Eltern hundertprozentig zu entsprechen – diese Erkenntnis kann sehr schmerzhaft sein, gehört aber zu dem für alle Beteiligten notwendigen Abnabelungsprozess dazu.
Eigentlich ist das ein ganz natürlicher Prozess. Wenn wir in unserer Persönlichkeitsentwicklung nicht unabhängig von den Erwartungen und Gefühlen unserer Eltern sein können, werden wir ein ganzes Leben lang wie in einem Käfig gefangen sein. Entscheiden wir uns aber für ein selbständiges Leben, wird es stets eine Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Eltern und denen des Kindes geben.
Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die geistige Entwicklung der Eltern. Können sie den Prozess der Abnabelung ihres Kindes zulassen? Unterstützen sie die Kinder auf ihrem individuellen Weg? Natürlich wünschen sie sich das Beste für ihr Kind. Doch ihre Wünsche drehen sich (zumindest unbewusst) letztendlich oft darum, sich selbst glücklich zu machen und ihr Bild von einer „guten Familie“ oder einem „gutem Leben“ aufrecht zu erhalten.
Wenn wir erkannt haben, in welchem Ausmaß wir von den Erwartungen unserer Eltern abhängig sind, erlangen wir Klarheit darüber, welchen großen Handlungsspielraum wir eigentlich in unserem Leben haben. Leider ist es aber eher so, dass es uns leichter fällt, unsere Schwächen – und nicht unsere Stärken – wahrzunehmen. Durch unsere Erziehung und Entwicklung werden wir immer wieder auf unsere Fehler und Defizite hingewiesen. Daher kennen wir uns in dieser Hinsicht meist sehr gut aus.
Unser verborgenes Potential entdecken: Rückverbindung mit den vier Elementen
Die Gefahr ist, dass man vor lauter Defiziten den eigenen, positiven Kern und das daraus resultierende Potential nicht mehr wahrnehmen kann. Tief in uns sind unendliche Möglichkeiten verborgen. Sie werden durch unsere selbst geschneiderten und von anderen übernommenen Konzepte verdeckt. Oft sind wir nicht in der Lage, dies selbst zu erkennen. Wie kommen wir in Kontakt mit unserem positiven Kern? Indem wir uns mit den vier Elementen in uns und um uns herum rückverbinden.
Wir werden bodenständig wie die Erde, flexibel wie Wasser, entwickeln Hingabe, Kraft und Genussfähigkeit wie das Element Feuer und schweben über den Dingen wie der Wind. Das sind die vier positiven Elemente, die jeder in sich trägt. Es kommt darauf an, sie auf konstruktive Weise zu entfalten.
Unser Denken, Fühlen und Handeln wird durch unsere bewussten und unbewussten Ängste motiviert.
Mithilfe unserer alltäglichen Denk- und Handlungsmuster versuchen wir ständig unser maßgeblich durch die Erwartungen anderer definiertes Selbstbild zu verwirklichen, uns daran anzunähern. Wie ein Esel, der einer einen Meter vor seinem Maul hingehaltenen Karotte hinterher trabt in der Hoffnung sie eines Tages doch noch zu erhaschen, jagen wir den Vorstellungen über uns selbst hinterher. Irgendwann stellen wir fest, dass wir unsere Erwartungen (bzw. die unserer Bezugspersonen) nie hundertprozentig werden erfüllen können. Es entstehen Mechanismen in uns, um unsere Schwächen und Fehler zu verdecken. Mit diesen Kompensationsversuchen täuschen wir unsere Umgebung sowie uns selbst und kreieren aufgrund der daraus resultierenden, verzerrten Wahrnehmung unsere eigene, subjektive Welt. Da jeder Mensch in seiner eigenen subjektiven „Wirklichkeit“ gefangen ist, gestalten sich Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen oftmals sehr schwierig, da man den anderen gar nicht verstehen kann – man bedient sich unterschiedlicher Sprachen.
Die Gewohnheitsstrukturen werden aus unseren Ängsten genährt – z.B. Angst vor dem Alleinsein, vor dem Tod und vor der eigenen Wertlosigkeit. Wir tun alles dafür, um diese Ängste nicht spüren zu müssen und entwickeln raffinierte Kompensationsmechanismen, um uns davor zu schützen. Diese Muster spiegeln sich in unseren Gewohnheitsstrukturen wider.
Auf den Gleisen unserer Gewohnheitsstrukturen durch das Leben fahren …
Wir tragen unbewusste Erwartungen und Hoffnungen in uns, die unser Denken und Handeln in bestimmte Richtungen lenken: Die Eltern oder eine andere Bezugsperson sollen stolz auf uns sein. Wir bemühen uns wirklich so sehr darum, Anerkennung von den jeweiligen Personen zu bekommen. Oder, weil wir der Auffassung sind, wir könnten alleine nicht überleben, klammern wir uns an unsere Mitmenschen und tun alles, um ihre Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Phänomene, die sich wie ein roter Faden durch unser ganzes Leben ziehen und unsere Beziehungen entsprechend gestalten, nennen wir karmische Lokomotive: Wir sind lediglich ein Waggon, der an die karmische Lokomotive angehängt ist. Wir werden von der Energie unserer Gewohnheitsstrukturen mitgezogen. Und diese Energie ist es, welche wir von einer Wiedergeburt zur nächsten „mitschleppen“: Von Leben zu Leben suchen wir uns ähnliche Bedingungen, um erneut den passenden Lokomotivführer und Gleise zu finden. Auf diese Weise sorgen wir dafür, dass wir auch weiterhin unsere Gewohnheitsstruktur ausleben können (Resonanzprinzip).
Damit wir unsere Konzepte und Gewohnheitsstrukturen und somit unser Selbstbild wirklich in der Tiefe verstehen können, müssen wir erkennen, welche Ängste uns in unserem Denken und Handeln steuern und können diese dann beispielsweise im geschützten Rahmen von Selbsterfahrungsseminaren oder der Therapie konfrontieren. Nur so werden wir uns aus unseren einengenden Mustern befreien und im Sinne des Zen ein befreites und bewusstes Leben führen – nicht nur für uns selbst, sondern gerade auch in den Beziehungen mit unserem Mitmenschen.
Wir unterscheiden folgende drei Grundängste: Ablehnungsangst, Minderwertigkeitsangst sowie Verlustangst.
Wichtig ist zu verstehen, dass jeder der Angsttypen in bestimmten Abschnitten unseres Lebens einen Überlebensmechanismus darstellte, ohne welchen wir unter Umständen (psychisch) nicht hätten überleben können. Je mehr wir imstande sind, unsere Angstmechanismen zu durchschauen, umso mehr sind wir in der Lage, Aspekte unserer Ängste als heilsame Werkzeuge einzusetzen, z.B. können wir dann „die Energie“ der Ablehnungsangst nutzen, um uns von den Übergriffen anderer abzugrenzen.
1. Ablehnungsangst
Die Grundlagen für die Entstehung der Ablehnungsangst werden im frühen Alter von 0-3 Jahren gelegt. Auf irgendeine Art und Weise hat sich das Kind von seinen Eltern oder anderen jeweiligen Bezugspersonen direkt oder indirekt abgelehnt gefühlt. Obwohl es die Nähe und Liebe seiner Eltern suchte, wurde sie ihm verwehrt. Es verinnerlicht die Überzeugung „meine Eltern wollen mich gar nicht!“ Vielleicht wurde es von Bezugsperson zu Bezugsperson gereicht, oft alleine gelassen oder häufiger nicht in den Arm genommen, wenn es das Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Zuwendung hatte. Das Gefühl des Abgelehntwerdens brennt sich tief in die Persönlichkeitsstruktur des Kindes ein. Es zieht sich in seine eigene Welt zurück, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Aufgrund der Enttäuschung zeigt dieser Mensch in der Folge so wenig Gefühle wie möglich, um nicht wieder schmerzhafte Erfahrungen machen zu müssen.
Bis zum Erwachsenenalter haben Menschen, die eine ausgeprägte Ablehnungsangst in sich tragen, perfekte Schutzmechanismen entwickelt, um weitere Ablehnungserfahrungen zu vermeiden. So tendieren sie dazu, sich von anderen Menschen zu distanzieren und näheren Kontakt zu vermeiden. In Beziehungen brauchen „Ablehner“ viel persönlichen Freiraum, da sie sich sonst leicht unter Druck gesetzt fühlen. Auch Gefühlen gegenüber verhalten sie sich sehr distanziert. Es fällt ihnen auch schwer, einen wirklichen, authentischen Kontakt zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen herzustellen. Dahinter steckt die Angst, wiederum abgelehnt zu werden, wenn man sich so zeigt „wie man ist“ bzw. wie man wirklich fühlt. Je distanzierter man sich gibt, umso weniger Angriffsfläche bietet man den Mitmenschen. Das Leben wird dann zwar recht einsam, aber vermeintlich sicherer und unabhängiger.
Die beiden extremen Ausprägungen der Ablehnungsangst:
Um weiterer Ablehnung vorzubeugen, entwickeln Menschen mit Ablehnungsangst häufig eine der beiden Gewohnheitsstrukturen oder pendeln zwischen diesen beiden Extremen hin und her:
a. Grundlage ist die Überzeugung „ich bin unschuldig“. Wenn sie sich selbst als unschuldig und harmlos darstellen, verringern sie das Risiko persönlich angegriffen oder nicht akzeptiert zu werden. Auf der Ebene der Gewohnheitsstrukturen wird dieser Mensch zu Rückzug, Resignation und depressiven Symptomen neigen.
b. Grundlage ist die Überzeugung „der Andere ist schuld“. Um von sich selber abzulenken, gehen sie nach außen und attackieren ihre Umwelt mit Schuldzuweisungen und Kritik analog dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Menschen, die aus dieser Gewohnheitsstruktur heraus leben, tendieren eher zu cholerischem Temperament und aggressiven Verhaltensweisen.
2. Minderwertigkeitsangst
Menschen mit Minderwertigkeitsangst tragen in sich das Gefühl, niemals gut genug zu sein. Um diesem Gefühl nicht begegnen zu müssen, kompensieren sie ihre scheinbare Schwäche mit anderen Fähigkeiten oder Eigenschaften. Sie neigen dazu, sich viel Wissen anzueignen und dieses anderen auch zu demonstrieren.
Die Minderwertigkeitsangst entsteht typischerweise im Alter von drei bis fünf Jahren. Ein klassisches Beispiel, welches sich in der Kindheit eines Menschen mit Minderwertigkeitsangst mehrfach zugetragen haben mag: Das Kind wollte Aufmerksamkeit, doch die Eltern hatten nicht viel Zeit und gaben dem Kind einfach eine schnelle Aufgabe – „ach, male doch ein Bild“. Das Kind freut sich über die kurze Aufmerksamkeit, will aber eigentlich richtige Zuneigung und Nähe. Es strengt sich daher unglaublich an, das Bild so schön wie nur möglich zu malen. Das Kind bringt das fertige Bild seiner Mutter. Doch die hat bereits vergessen, dass das Kind von ihr diese Aufgabe bekommen hatte. Sie schaut kurz über das Bild und sagt nur noch: „Also die Sonne könntest du eigentlich schöner malen. Und ein wenig bunter würde doch auch gut aussehen.“ Anstatt Aufmerksamkeit hat das Kind nur aufgezeigt bekommen, was es noch besser machen könnte. Menschen, die Minderwertigkeitsangst in sich tragen, haben ihr Leben lang das Gefühl in sich erfahren, Dinge schlecht, nicht gut genug oder nur unzureichend erledigt zu haben. Oder sie wurden niemals darin ermutigt, etwas alleine zu tun, ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken einzusetzen.
Die beiden extremen Ausprägungen der Minderwertigkeitsangst:
a. Grundlage ist die Überzeugung „Ich bin der Beste“ („I am a hero“). Indem sie sich als stark und unnahbar darstellen, hoffen sie darauf, dass die anderen es nicht wagen, ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen. Nach außen zeigen sie demnach ein überhöhtes Selbstwertgefühl.
b. Grundlage ist die Überzeugung „Ich bin ein Versager – ich kann nix“ („I am a zero“). Auf diese Weise stellen sie sich von vornherein als minderwertig und unfähig dar und schützen sich auf diese Weise vor Kritik. Zum einen, weil sie unter Umständen bestimmte Aufgaben gar nicht erst übertragen bekommen, weil man es ihnen nicht zutraut. Oder aber die Mitmenschen haben durch die geschickte Demonstration von Minderwertigkeit mit „Schlimmerem“ gerechnet und sind daher im nachhinein angenehm überrascht, dass die Leistung des „Minderwertigen“ ja doch gar nicht so ungenügend ist wie zunächst aufgrund dessen Selbstdarstellung befürchtet. Dahinter steht die Hoffnung, dass man ihnen sagt „oh, das hast Du doch gut gemacht!“
3. Verlustangst
Der dritte Typ der Grundängste hat seine Wurzeln im Alter von fünf bis sieben Jahren. Das Kind hat auf die eine oder andere Weise tiefgreifende Verlustmomente in seinem Leben erfahren. Ein typisches Bild ist das eines Kindes, das seiner Mutter hinterherläuft, die sich aber nicht umdreht, um es in die Arme zu nehmen. Das Kind streckt die Ärmchen aus, um seine Mutter doch noch zu erwischen, schafft es aber nicht. Fühlt sich ein Kind bereits in frühem Alter verlassen, entwickelt es eine besondere Gabe, zukünftig Menschen an sich zu binden und sich selbst so vor einer schmerzhaften Wiederholung schützen soll. Es lernt die Menschen in seiner Umgebung so zu manipulieren, dass es die gewünschte Aufmerksamkeit bekommt. Ein Kind mit Verlustangst kann sehr gut mit Gefühlen umgehen. Es hat Klarheit darüber, was die Menschen in seinem Umfeld brauchen oder sich wünschen und erfüllt ihnen jeden Wunsch, nur um dadurch in Kontakt zu bleiben. Solche Situationen sieht man besonders häufig in Waisenhäusern: Aus Erfahrung in der Arbeit mit Waisenkindern wissen wir, dass neue Elternpaare sich immer nur die süßesten, netten und aufgeschlossensten Kinder aussuchen. Kinder mit Verlustangst merken in solchen Situationen sofort, wie sie auf die Menschen reagieren müssen, um ausgewählt zu werden. Sie spielen genau das vor, was erwünscht ist, um zu bekommen was sie wollen: Nähe, Verbindung und Sicherheit.
Die Gefahr ist, dass daraus im Verlauf des weiteren Lebens ein gewohnheitsmäßiges Helfersyndrom entsteht. Um den Kontakt zu geliebten Mitmenschen nicht zu verlieren, sind sie mit ihrer Aufmerksamkeit stets bei den Anderen und nicht bei sich selbst. Sie verlieren nach und nach den Kontakt zu ihren eigenen Bedürfnissen und sind im erwachsenen Alter oft kaum in der Lage, sich selbst etwas Gutes zu tun. Auch wird ihre Angst vor Verlust so groß, dass sie in Beziehungen oft diejenigen sind, die klammern, stark kontrollieren und dem Partner keinen eigenen Raum oder Zeit für sich gönnen können.
Die beiden extremen Ausprägungen der Verlustangst:
a. Die Grundannahme lautet „Ich habe die Macht/Kontrolle“. Dadurch, dass der Verlustängstler sehr früh und gut gelernt hat mit Gefühlen umzugehen, meint er zu „wissen, was der Andere fühlt“. Dadurch erlebt er sich als mächtig und in einer Kontrollposition.
b. Basiert auf der Grundlage „Ich bin hilflos“. Indem man sich als Opfer darstellt und Leid präsentiert, erhofft man sich die Aufmerksamkeit und Fürsorge der Umgebung. Hier wird also im Prinzip auch Kontrolle ausgeübt, aber auf eine andere, subtilere Weise wie bei der oben genannten Grundannahme.
Lebt ein Mensch mit Verlustangst mit einem Ablehnungsängstler in einer Beziehung zusammen und beginnt ihn auf der Gefühlsebene stärker an sich zu binden, wird der Ablehnungsängstler wachsam: Je mehr er sich gefühlsmäßig einbringt, desto größer könnte der Schmerz nach einer eventuellen Trennung sein. Der Mensch mit Ablehnungsangst wehrt sich in der Folge gegen zu große Vereinnahmung. Das wiederum löst die Verlustangst des Partners aus, welcher mit verstärkte Kontrolle oder Vereinnahmungstendenzen reagiert. Findet das Paar keinen Weg aus den eigenen Gewohnheitsstrukturen heraus, kommt es häufig zur Trennung, da sich der Ablehnungsängstler zu sehr eingeengt fühlt und die Freiheit sucht.
Johanna Bascle
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